Variante oder Blasphemie?

"Nichts an diesem Buch stimmt, aber alles könnte wahr sein."


Ostern. Das war die Zeit, in der man sich – wie jedes Jahr – mit der wundersamen Geschichte der Auferstehung Jesu beschäftigt. Theologen predigen und legen aus, im Fernsehen läuft eine Jesus-Biografie nach der anderen. Und der Tübinger Uni-Professor Jürgen Wertheimer bringt seinen Debütroman auf den Markt: „Als Maria Gott erfand“.

Schon vor Ostern kündigte Wertheimer in seinen Vorlesungen an, dass in der kommenden Zeit sein erstes Buch erscheinen würde und prophezeite, dass dem ein oder anderen seine Geschichte von Jesu Leben nicht schmecken würde. Nun, ein Monat nach Ostern, finden sich viele Reaktionen auf dieses Buch: In Tübingen empören sich reihenweise gläubige Katholiken in den örtlichen Buchläden, geben ihre Kundenkarten zurück und verkünden, den Laden in Zukunft boykottieren zu wollen; die katholische Internetplattform kreuz.net zerreißt das Buch ziemlich inkompetent, mit Wutschaum vor dem Mund und macht dabei den glänzenden Eindruck, man habe nicht mehr als den Klappentext des Buches gelesen, um sich ein Urteil zu bilden. Sogar das muslimische Portal Muslim-Markt sieht sich genötigt, die christliche Mutter Gottes in ihrer Ehre zu verteidigen und fragt nach der unantastbaren Würde von Verstorbenen. Und auch hier beschleicht mich das Gefühl, dass der Verfasser sich nicht die Mühe gemacht hat, Wertheimers Debüt auch mal von innen zu betrachten.

Zugegeben: Der Klappentext lässt in dem Buch eine nicht ganz ernst zu nehmende Verhohnepiepelung der Umstände von Jesu Geburt und Leben vermuten. Sinngemäß: Weil ihr frisch angetrauter Yussef stockschwul ist, beginnt Maria eine Affäre mit dem Wanderprediger Jochanaan und die resultierende Schwangerschaft verbindet sie mit ihrer Leidenschaft fürs unglaubliche Geschichten Erzählen. Es entsteht „eine Geschichte, an die noch heute Millionen von Menschen glauben.“

So weit, so gut. Aber worum geht es nun wirklich in dem ach so blasphemischen Werk von dem am besten möglichst plötzlich zu exkommunizierenden Jürgen Wertheimer? In der Tat, Maria ist blutjung, als sie mit Yussef verheiratet wird. Dieser gesteht ihr gleich in der Hochzeitsnacht, dass er sich nicht in der Lage sieht, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Maria langweilt sich in dieser fruchtlosen Ehe, sie langweilt sich in ihrem neuen Heim, fühlt sich nicht da-heim. Und genau in diese Langeweile tritt Jochanaan und ist die Verheißung auf ein Leben und ein Er-leben. Der Zeugungsakt wird von der Sechzehnjährigen hochstilisiert zur Götterschaffung – doch schon zu diesem Zeitpunkt beginnt die Geschichte, sich ihrer Kontrolle zu erziehen. Yussefs Theaterfreunde bekommen Wind von dieser fixen Idee und sehen sich berufen, aus Marias Geschichte die ihres Sohnes Joshua zu machen: Joshuas Leben wird von vorne bis hinten inszeniert, Yussef und vor allem Maria sind willige Statisten und Mitintendanten und so wird aus dem kleinen Jungen der verzogene Sohn Gottes, der schon als Kind hin- und hergerissen ist zwischen Zerstörung und Wiedererschaffung, zwischen Mitleid und Abscheu, zwischen Einsamkeit und seinem Dasein als Massenanziehungspunkt. Und plötzlich ist es nicht mehr Maria, die eine Geschichte um Joshua erfindet, sondern es sind all die Menschen und Anhänger, die Joshua folgen. Auch wenn sie alle eigentlich auf der Suche nach völlig unterschiedlichen Dingen sind, in Joshua scheinen sie alle ihre Antwort zu finden, ohne dass er selbst diese Antwort sein will. Aber Joshuas Leben ist von vorne bis hinten eine Theateraufführung, aus der er nicht ausbrechen kann, denn ein wirkliches, ein eigenes Leben hatte er nie und kennt er auch nicht.

„Als Maria Gott erfand“ ist keine Geschichte über die fixe Idee von Maria nach ihrem Ehebruch. An diesem Punkt beginnt sie erst und erzählt, wie einige Leute von Ehrgeiz und Machthunger getrieben die Figur Joshua für sich selbst zu nutzen und andere damit zu manipulieren verstehen. Und es ist eine Geschichte, die von vielen Menschen weitergesponnen und miterfunden wurde, einfach weil sie daran glaubten und weil sie es vor allem brauchten, an etwas zu glauben.

Natürlich verstehe ich, wenn Menschen heute das Buch lesen und sich in ihren religiösen Gefühlen auf den Schlips getreten fühlen. Glaube bedeutet ja, dass man etwas Wunderbares, Unerklärliches glaubt, ohne die Hintergründe kennen zu müssen. Glauben ist nichts Rationales und braucht deshalb auch keinen trivialisierenden Aufklärungsversuch.

Wenn Menschen allerdings den Titel sehen, bestenfalls noch den Klappentext lesen und sich dann zu moralapostolischen Kritikern aufschwingen, so entzieht sich das meinem Verständnis und entlockt mir allerhöchstens ein verächtliches Auflachen ob deren Oberflächlichkeit. Denn ein Klappentext – gerade ein so unpassender und reißerischer, wie er leider Wertheimers Buch eigen ist – sagt in den wenigsten Fällen etwas über die Qualität des Buches an sich aus. (An dieser Stelle sei der Verlag gegrüßt, der im Hinblick auf den Klappentext meiner Meinung nach herzlich schlechte Arbeit geleistet hat.)

Nach der Wahrheit hinter den Wahrheiten, die die Kirche tagtäglich predigt, wolle Wertheimer fragen, erklärt er selbst in seinem Nachwort. Denn nichts Genaues weiß man nicht, letztlich ist ja alles, was wir über Jesu Leben wissen, ein Wissen aus auslegenden Texten über andere ausgelegte Texte. Wertheimers eigenes Fazit über sein Debüt: „Nichts an diesem Buch stimmt, aber alles könnte wahr sein.“

Letztlich ist „Als Maria Gott erfand“ mit Sicherheit ein provokantes Werk, und jeder, der Jürgen Wertheimer mal erlebt hat, weiß, dass sein Buch auch als Provokation gemeint ist. Aber dennoch wäre es einfach ungenügend, in dem Werk lediglich eine Verunglimpfung der Heiligen Maria zu sehen. Jürgen Wertheimer hat eine Erzählung geschrieben, die eine mögliche rationale Erklärung zu mehr oder weniger historischen Ereignissen versucht und dabei manchmal leise komisch, teils sensibel, teils vehement, aber vor allem sehr emphatisch vorgeht – was man wüsste, hätte man es mal gelesen.

(Mai 2009)




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